Das Rechtsinstitut der Abmahnung war ursprünglich dazu gedacht, die Gerichte zu entlasten. Gerade bei kleineren Rechtsverstößen im wettbewerbsrechtlichen Bereich sollte nicht sofort ein Richter mit der Sache betraut werden, sondern sollten die Parteien versuchen, sich untereinander zu einigen. In der Praxis hat das allerdings dazu geführt, dass unzählige – in vielen Fällen auch unberechtigte – Abmahnungen versendet wurden. Mit dem „Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken“ wollte der Gesetzgeber diese Flut eindämmen. Die neuen Regelungen traten im Oktober 2013 in Kraft und gelten nunmehr seit einem Jahr. Dass Abmahnungen dadurch aber tatsächlich weniger geworden sind, können Online-Händler wohl nicht bestätigen.
Hintergrund: Post vom Anwalt
Anwaltsschreiben, die kurze Fristen für die Zahlung der angefallenen Anwaltsgebühren und Abgabe der obligatorischen Unterlassungserklärung setzen und die Einleitung gerichtlicher Schritte androhen, wenn diese Fristen nicht eingehalten werden, sollten den Abgemahnten dazu bringen, sich im Sinne des Abmahners zu verhalten, ohne den Vorwurf selbst anwaltlich überprüfen zu lassen. Daraus hat sich ein ganzer Geschäftszweig entwickelt, den der Gesetzgeber so sicher nicht geplant hatte. Um dieser Praxis entgegenzuwirken, wurden mit dem „Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken“ neue Bestimmungen erlassen, die das Abmahngeschäft unattraktiv machen und so eindämmen sollen.
Das Problem: viele Gesetze, die sich regelmäßig ändern
Auf Grund vielseitiger gesetzlicher Vorgaben, die insbesondere im Online-Handel zu beachten sind, und häufiger Änderungen der Rechtslage, entweder durch neue europäische Vorgaben oder geänderte Rechtsprechung, besteht vor allem in diesem Wirtschaftszweig die Gefahr, dass es zu – unfreiwilligen – „Rechtsbrüchen“ kommt. Vielfach handelt es sich um kleinere Verstöße, die sich auf den Wettbewerb nur in geringem Umfang auswirken. Dennoch kam es auch in diesen Fällen zu Abmahnungen, in denen neben der Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung hohe – meist dreistelligen – Anwaltsgebühren gefordert wurden. Das konnte vor allem für Existenzgründer und Kleinunternehmer schnell existenzbedrohende Ausmaße annehmen.
Verstöße im WWW mit Suchfunktionen besonders leicht aufzufinden
Rechtsbrüche im Internet sind zudem auch über entsprechende Suchfunktionen mit geringem Aufwand aufzuspüren, was die Gefahr, abgemahnt zu werden, für jeden Händler noch erhöht. Abmahnungen erfolgten allerdings auch dann, wenn tatsächlich gar kein Rechtsverstoß vorlag. Aus Angst vor weiteren – gerichtlichen – Schritten und aus Unsicherheit zahlten die Betroffenen oftmals den geforderten Betrag und gaben die Unterlassungserklärung ungeprüft ab. Das kann aber weitreichende Folgen haben.
Denn die Unterlassungserklärung gilt – als zivilrechtlicher Vertrag – auch dann, wenn ein Verstoß gar nicht begangen wurde. Sie kann auch nicht ohne Weiteres zurückgenommen werden. Das hat vor allem bei Gesetzesänderungen unangenehme Folgen. Darüber hinaus hat eine Unterlassungserklärung auch kein „Ablaufdatum“ sondern gilt für die Zukunft; also solange, bis sie gekündigt oder von einem Gericht für unwirksam erklärt wird.
Gerichtliche Schritte: Einstweilige Verfügung oder Klage
Weigert sich der Abgemahnte hingegen, die Gebühren zu zahlen oder die Erklärung abzugeben, kann der abmahnende Konkurrent seine – behaupteten – Ansprüche versuchen, gerichtlich durchzusetzen. Zwar prüft ein Richter bei Einreichung einer Klage, ob ein Gesetzesverstoß tatsächlich vorliegt. Soll das aber im sog. „einstweiligen Rechtsschutz“, also besonders schnell geklärt werden – was regelmäßig der Fall ist -, fällt die richterliche Überprüfung sehr kurz aus. Meist wird der Abgemahnte zu dem Vorwurf noch nicht einmal angehört und kann sich folglich nicht verteidigen.
Das Ergebnis eines solchen Verfahrens ist eine einstweilige Verfügung, also ein gerichtlicher Beschluss, der den Abgemahnten verpflichtet, das beanstandete Verhalten zu unterlassen.
„forum-shopping“: geklagt werden konnte in ganz Deutschland
Erschwerend kam in der Vergangenheit hinzu, dass vor einem Gericht in der gesamten Bundesrepublik geklagt werden konnte.
Bei wettbewerbsrechtlichen Verstößen gilt unter anderem der Gerichtsstand des Ortes, an dem die Verletzungshandlung erfolgt ist. Im Online-Handel finden Verstöße im Internet statt, das von überall aus aufgerufen werden kann. Der Verletzungsort ist daher ganz Deutschland. Findige Anwälte haben diese Regelung ausgenutzt und für das Verfahren Gerichte gewählt, die entweder ihre Rechtsauffassung teilten, einstweilige Verfügungen bereitwillig erließen oder hohe Streitwerte festsetzten, was die Anwaltsgebühren, die der Abgemahnte zu zahlen hätte, in die Höhe trieb. Vielfach wurden auch Gerichte angerufen, die weit entfernt vom Wohn- oder Niederlassungsort des Abgemahnten waren, damit dieser schon auf Grund der Entfernung von einer Rechtsverteidigung absieht.
Rechtsänderung: Wiederherstellung der „Waffengleichheit“
Durch das „Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken“ wurden Regelungen in das geltende Recht eingefügt, die missbräuchliche Abmahnungen unattraktiv machen und die Waffengleichheit zwischen Abgemahntem und Abmahner wieder herstellen sollten.
Gegenanspruch des Abgemahnten bei missbräuchlicher Abmahnung
Neu in das Gesetz eingeführt wurde zunächst ein Gegenanspruch des Abgemahnten auf Ersatz seiner Rechtsverteidigungskosten. Bisher hatte der betroffene Unternehmer bei rechtsmissbräuchlicher Abmahnung „nur“ einen Schadenersatzanspruch gegen den Abmahnenden. Um diesen gerichtlich durchsetzen zu können, mussten aber eine Reihe von Tatsachen bewiesen werden, was nicht immer leicht war. Schlug die Beweisführung fehl, verlor der Abgemahnte den Prozess und musste die Kosten tragen. Dieses nicht unerhebliche Prozessrisiko wollte nur eine geringe Anzahl der Betroffenen auf sich nehmen.
Die Neuregelung vermindert dieses Prozessrisiko, was die Abgemahnten bei Verdacht auf Rechtsmissbrauch ermuntern soll, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Gegenanspruch auf Kostenersatz führt darüber hinaus zu einem Kostenrisiko seitens des Abmahnenden, welches das wirtschaftliche Interesse an missbräuchlichen Abmahnungen erheblich senkt.
Weitestgehende Abschaffung des „fliegenden Gerichtsstandes“
Durch die Einführung eines Ausnahmetatbestandes wird der Gerichtsstand des Handlungsortes dahingehend eingeschränkt, dass dieser nur noch dann anwendbar ist, wenn der abgemahnte Händler weder eine gewerbliche oder selbstständige berufliche Niederlassung noch einen Wohnsitz im Inland hat. Konsequenterweise wird dadurch das sog. „forum shopping“ weitestgehend abgeschafft. Zuständig ist dann das Gericht, in dessen Bezirk der Abgemahnte seinen Geschäfts- oder Wohnsitz hat. Dadurch wird die in der Zivilprozessordnung verankerte Waffengleichheit wiederhergestellt.
Während der Kläger den Zeitpunkt, die Art und den Umfang der Klage bestimmen kann, muss er sich im Gegenzug an ein auswärtiges, ihm unbekanntes Gericht wenden. Dadurch ist der Beklagte (also der Abgemahnte) möglicherweise geneigter, sich gegen eine Klage oder einstweilige Verfügung zu wehren. Denn er muss sich dafür nicht mehr aus seinem Geschäfts- bzw. Wohnbezirk entfernen.
Herabsetzung des Streitwerts, um existenzbedrohende Kosten zu verhindern
In welcher Höhe der Abgemahnte im Unterliegensfall Gerichtskosten und die Rechtsanwaltskosten des Gegners zu tragen hat, richtet sich nach dem sog. „Streitwert“. Dieser wird nach der Bedeutung der Sache für den Kläger bemessen. Auch hier spielt wieder die deutschland- und weltweite Abrufbarkeit der rechtswidrigen Web-Seite eine große Rolle. Der Streitwert wird meist sehr hoch angesetzt, was die Höhe der Gebühren beeinflusst. Diese können für den Abgemahnten deshalb schnell existenzbedrohende Ausmaße annehmen.
Um das zu verhindern hat der Abgemahnte die Möglichkeit, die Herabsetzung des Streitwertes zu beantragen. Die Gebühren, die er entrichten müsste, wenn er den Rechtsstreit verliert, richten sich dann nach dem geringeren Streitwert. Voraussetzung dafür ist aber zunächst ein entsprechender Antrag. Darüber hinaus muss die betroffene Partei glaubhaft machen, dass ihre wirtschaftliche Lage erheblich gefährdet wäre, wenn sie mit den Prozesskosten nach dem vollen Streitwert belastet werden würde.
Auch diese Neuregelung soll missbräuchliche Abmahnungen wirtschaftlich unattraktiv machen und dadurch dazu beitragen, dass sich die Zahl von Abmahnungen verringert.
Ziel erreicht?
Ob der Gesetzgeber sein Ziel der Eindämmung unseriöser Geschäftspraktiken in Form von missbräuchlichen Abmahnungen tatsächlich erreicht hat, ist schwer zu sagen. Immer noch kommt es zu zahlreichen Abmahnungen, die vielfach – mehr oder weniger offensichtlich – rechtsmissbräuchlich sind. Insbesondere im Zusammenhang mit der Umsetzung der Verbraucherrechte-Richtlinie (VRRL) am 13.6.2014 überrollte die Online-Händler wieder eine Abmahnflut.
Händlern ist deshalb bei jeder Abmahnung zu raten, selbst einen Anwalt hinzuzuziehen. Nur so lassen sich unnötig hohe Kosten und die Konsequenzen aus voreilig abgegebenen Unterlassungserklärungen vermeiden.
Kunden von Protected Shops müssen sich wegen Abmahnungen keine Sorgen machen. Wir garantieren für die Übereinstimmung unserer Rechtstexte – AGB, Widerrufsbelehrung, Impressum und viele mehr – mit der geltenden Rechtslage. Sollten Sie dennoch eine Abmahnung auf Grund unserer Texte erhalten, übernehmen wir die Kosten.
Ihr Protected Shops Team