In einem aktuellen Urteil hat das LG Berlin Amazon für das Fehlverhalten eines Marketplace-Händlers in die Verantwortung genommen. Der Plattformbetreiber haftet dafür, dass auf seiner Webseite Produktbilder ohne Zustimmung des Rechteinhabers zugänglich gemacht wurden. Macht die Entscheidung Schule, wird der Online-Riese eine grundlegende Geschäftspraktik überdenken müssen.
„Amazon-Händler haften für Rechtsverstöße des Plattformbetreibers“, so lauten immer wieder Nachrichten und Urteilssprüche. Dass die Marketplace-Händler in den meisten Fällen keine Möglichkeit haben, sich rechtsfonform zu verhalten, wenn sie nicht den Warenvertrieb über Amazon vollständig einstellen wollen, spielt für die Entscheidungen der Gerichte keine Rolle. In einem Verfahren vor dem Landgericht (LG) Berlin ist es nun der Marktplatzbetreiber, der für das Fehlverhalten eines Händlers geradestehen muss. Verkehrte Welt!
Parfumhersteller gegen Online-Riese
Hintergrund des Prozesses ist die Verwendung von Produktbildern für das Parfum „The Game“ von Davidoff. Ein Vertragspartner des Parfumherstellers hatte Fotos, die ihm zur Verwendung im Ladengeschäft und in autorisierten Onlineshops zur Verfügung gestellt wurden, für seine Angebote auf dem Amazon Marktplatz hochgeladen. Diese Bilder erschienen letztendlich auch innerhalb von Angeboten anderer Marketplace-Händler und von Amazon selbst sowie in einer Bannerwerbung, die der Marktplatzbetreiber auf einer externen Webseite geschaltet hatte. Davidoff mahnte als Rechteinhaber Amazon wegen der Verwendung der Bilder ab.
LG Berlin – 1:0 für Davidoff
Der Plattformbetreiber entfernte zwar die Fotos von seiner Webseite, er weigerte sich jedoch, die von Davidoff geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Der Parfumhersteller ging deshalb vor Gericht, mit Erfolg! Das LG Berlin entschied, dass Amazon für die Verletzung der Urheberrechte an den Produktbildern durch die Veröffentlichung auf dem Marktplatz verantwortlich ist. Vorgeworfen wird dem Plattformbetreiber, dass die Bilder in Angeboten der Marketplace-Händler – auch desjenigen, der die Fotos ohne entsprechende Erlaubnis des Rechteinhabers hochgeladen hatte – aber auch solchen von Amazon selbst, sowie innerhalb einer Werbeanzeige des Online-Riesen verwendet wurden (Urteil vom 26.01.2016, AZ: 16 O 103/14).
Was war passiert?
Der Davidoff-Vertragspartner lud auf Amazon Produktbilder des angebotenen Parfums hoch, obwohl er diese ausschließlich innerhalb seiner Ladengeschäfte und autorisierten Onlineshops nutzen durfte. Eine Verwendung auf Online-Marktplätzen war nicht gestattet. Zudem wurde ihm kein Recht eingeräumt, Unterlizenzen an den betreffenden Bildern an Dritte zu vergeben.
Amazon lässt sich über die Nutzungsbedingungen für seinen Marketplace umfangreiche Rechte an sämtlichen Materialien (Fotos, Texte, Videos etc.), die von den Händlern hochgeladen werden, einräumen.
Erstellung der Produktdetailseite
Für jedes Produkt, das auf dem Marketplace angeboten wird, vergibt Amazon eine Artikelnummer (Amazon Standard Identification Number, ASIN), der das Material, das die einzelnen Händler zu dem betreffenden Produkt hochladen, zugeordnet wird. Bei der Erstellung der Produktdetailseite werden aus diesem Datenpool die Informationen ausgewählt, die dem potenziellen Käufer des entsprechenden Artikels auf seinem Bildschirm letztendlich angezeigt werden. Das führt dazu, dass im Angebot eines Händlers ein Produktfoto erscheinen kann, das dieser gar nicht hochgeladen hat.
Die Auswahl erfolgt über einen Algorithmus, der vollautomatisch und ohne weiteres Zutun von Amazon oder seinen Mitarbeitern arbeitet.
Wer entscheidet, der haftet!
Dieser Algorithmus wurde dem Marktplatzbetreiber nun zum Verhängnis. Durch ihn entscheidet Amazon, welches Foto in den einzelnen Angeboten erscheint, und nicht der Händler, der das entsprechende Produkt über den Marktplatz verkauft. Verletzt die Anzeige Urheberrechte Dritter, kann sich der Online-Riese nicht darauf berufen, für die Rechtsverletzung nicht verantwortlich zu sein, bzw. davon keine Kenntnis gehabt zu haben. Nach Ansicht des LG Berlin greift Amazon durch den Einsatz des Algorithmus in die Autonomie der Händler ein und haftet folglich für Rechtsverletzungen als Täter. Das gilt auch für die Wiedergabe des in Rede stehenden Fotos im Angebot des Händlers, der dieses ursprünglich hochgeladen hatte.
Obwohl es also der Vertragspartner von Davidoff war, der das urheberrechtlich geschützte Bild auf den Marktplatz hochgeladen hat, wozu er nicht berechtigt war, haftet Amazon für die Rechtsverletzung, die daraus resultiert, dass das Bild im Angebot des betreffenden Händlers auch erscheint.
Keine Nutzungsrechte am Bild seitens Amazon
Auch die Einbindung der Bilder in eigene Angebote des Plattformbetreibers oder solche von Marketplace-Händlern, die nicht Vertragspartner von Davidoff sind, sowie die Verwendung in Werbeanzeigen waren urheberrechtswidrig. Dass Amazon zur Nutzung der Bilder nicht berechtigt war, ergibt sich aus der Lizenzvereinbarung zwischen Davidoff und seinen Vertragshändlern. Diese durften keine Unterlizenzen für die Fotos an Dritte vergeben. Trotz der obengenannten Klauseln in den Nutzungsbedingungen für den Marketplace, konnte Amazon folglich keine Rechte an den Bildern erwerben.
Keine Lizenz trotz Kartellverstoßes
Daran ändert auch der Einwand des Online-Riesen nichts, der Parfumhersteller würde sich kartellrechtswidrig verhalten, weil er seinen Vertragshändlern untersagt, die Produktfotos auf Online-Marktplätzen einzustellen und so den Verkauf über diesen Vertriebskanal letztendlich verhindert. Selbst wenn eine derartige Klausel als unzulässige Vertriebsbeschränkung angesehen werden sollte, erlangen die Vertragshändler dadurch kein Recht dazu, Unterlizenzen an Dritte zu vergeben. Amazon hätte folglich auch in diesem Fall keine Nutzungsrechte an den Bildern erlangen können.
Fazit
Das LG Berlin straft Amazon für das Fehlverhalten eines Marketplace-Händlers ab. Gegen diese Entscheidung wird der Plattformbetreiber – nach Angaben von Golem.de – Rechtsmittel einlegen. Es bleibt also spannend.
Wird das Urteil bestätigt und schließen sich der Auffassung der Berliner Richter auch weitere Gerichte an, wird Amazon wohl seine Praxis überdenken müssen, über die Angebotsdarstellung auf dem Marktplatz selbst zu entscheiden und das nicht den einzelnen Händlern zu überlassen. Andernfalls drohen nicht nur weitere Abmahnungen von großen Herstellerfirmen, sondern auch hohe Kosten. Denn urheberrechtliche Streitigkeiten sind teuer.
Wir bleiben dran!
Update 29.06.2016:
Mit Urteil vom 10.03.2016 (AZ: 29 U 4077/15) hat das Oberlandesgericht (OLG) München entschieden, dass Marketplace-Händler, die sich an Angebote „anhängen“, bei denen urheberrechtswidrig eingestellte Produktfotos verwendet werden, keinen urheberrechtlichen Verstoß begehen. Denn sie machen die Artikelbilder weder öffentlich zugänglich (das macht derjenige, der sie erstmalig einstellt bzw. Amazon) noch vervielfältigen sie sie (wobei die genaue technische Umsetzung des „Anhängens“ im Verfahren offen geblieben ist; die Richter zweifelten aber selbst dann einen Urheberrechtsverstoß des Marketplace-Händlers an, wenn eine Vervielfältigung der Bilder durch das Anhängen tatsächlich erflogt).
Zwar ist der Warenhandel über Amazon für Händler immer wieder höchst abmahngefährdet, sie werden aber nicht für sämtliches Fehlverhalten, was durch den Betrieb des Marktplatzes erfolgt, verantwortlich gemacht. Im Gegensatz zum Plattform-Betreiber selbst. Dieser ist verstärkt urheber- und markenrechtlichem Vorgehen der Rechteinhaber ausgesetzt. Ob und wie der Online-Riese darauf reagiert, bleibt abzuwarten.