Mit einem aktuellen Urteil hat der EuGH die Rechte von Verbrauchern gestärkt. Die Entscheidung steht allerdings im Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH. Dennoch wird sie wohl auch das Leben von deutschen Online-Händlern erschweren.

 

Erhält ein Käufer vom Verkäufer ein mangelhaftes Produkt, kann er seine gesetzlichen Gewährleistungsrechte geltend machen. Er kann also Reparatur oder Neulieferung fordern, vom Vertrag zurücktreten und sein Geld zurück verlangen oder in bestimmten Fällen sogar Schadenersatz geltend machen. Voraussetzung für all das ist zunächst, dass ein Mangel vorliegt und zwar in dem Moment, in dem der Käufer die Ware vom Verkäufer erhält (juristisch: Gefahrübergang).

Mängelhaftungsrechte – Was muss der Käufer beweisen?

Zur Durchsetzung seiner Rechte muss der Käufer allerdings zweierlei beweisen:

–          Der Artikel hat einen Mangel,

–          der Mangel hat bereits bei Gefahrübergang vorgelegen.

Vor allem letzteres ist schwierig, wenn sich der Fehler erst einige Zeit nach dem Kauf zeigt. Dann kann er zwar schon bei Übergabe vorgelegen haben, wie soll der Käufer das aber beweisen?

§ 476 BGB – Beweiserleichterung für den Verbraucher

Da dieser Nachweis gerade für Verbraucher noch schwerer zu führen sein dürfte, hat der Gesetzgeber für diese Käufergruppe eine Beweiserleichterung im Gesetz vorgesehen. Nach § 476 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wird vermutet, dass ein innerhalb von 6 Monaten nach Übergabe des Kaufgegenstandes auftretender Mangel bereits bei Gefahrübergang vorgelegen hat.

Was leicht verständlich klingt, ist höchst umstritten.

Beweislastumkehr – enge Auslegung durch den BGH

Der Bundesgerichtshof (BGH) legt diese Regelung eng aus. Die Beweislastumkehr gilt lediglich in zeitlicher Hinsicht. Der Verbraucher muss also durchaus beweisen, dass der Kaufgegenstand mangelhaft ist, indem er nicht nur darlegt, dass dieser nicht vertragsgemäß funktioniert, sondern auch den Grund dieser Funktionsstörung benennt. Kann er daneben auch nachweisen, dass der Mangel sich innerhalb der ersten 6 Monate nach Übergabe der Ware gezeigt hat, kommt ihm die Beweislastumkehr des § 476 BGB zugute. Er muss dann nicht belegen, dass der Mangel bereits zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen hat.

EuGH erleichtert die Beweisführung erheblich

Mit seinem Urteil vom 04.06.2015 (AZ: C-497/13) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) dieser Auslegung nun widersprochen. In der Entscheidung legten die Richter fest, dass der Verbraucher lediglich vortragen und im Zweifel beweisen muss, dass das verkaufte Gut nicht vertragsgemäß ist, etwa weil es die im Kaufvertrag vereinbarten Eigenschaften nicht aufweist oder sich nicht für den Gebrauch eignet, der von derartigen Waren gewöhnlich erwartet wird. Außerdem muss er beweisen, dass die Vertragswidrigkeit innerhalb von 6 Monaten nach der Lieferung aufgetreten ist.

Unternehmer muss Gegenbeweis erbringen

Der Verbraucher muss hingegen weder den Grund für die Vertragswidrigkeit noch den Umstand, dass diese dem Verkäufer zuzurechnen ist, beweisen. Beides ist Inhalt der gesetzlichen Vermutung des Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (RL 1999/44/EG) der in Deutschland in § 476 BGB umgesetzt wurde. Vielmehr muss der Unternehmer den Gegenbeweis erbringen, dass die Ware zum Zeitpunkt der Übergabe mangelfrei war. Das könnte er etwa dadurch, dass er darlegt, dass die Vertragswidrigkeit auf unsachgemäßen Gebrauch durch den Käufer zurückgeht.

Auslöser der EuGH-Entscheidung: Autobrand in den Niederlanden

Die Entscheidung betraf einen niederländischen Fall, bei dem der von der Käuferin erworbene Pkw während einer Fahrt Feuer fing und ausbrannte. Der Vorfall ereignete sich innerhalb der ersten 6 Monate nach Übergabe des Fahrzeugs. Da der Wagen ohne gutachterliche Überprüfung verschrottet wurde, konnte nicht geklärt werden, was den Brand verursacht hatte. Die Käuferin machte gegen den Verkäufer über ihre Gewährleistungsrechte rund 11.000,- Euro geltend. Der Händler verweigerte die Zahlung.

Vorlage an den EuGH – Auslegung europäischen Rechts

Um ein Urteil fällen zu können, war für das mit dem Fall betraute niederländische Gericht entscheidend, welche Prozesspartei was zu beweisen hat, wie also die Regelung das Art. 5 Abs. 3 der RL 1999/44/EG, der auch in den Niederlanden umgesetzt wurde, auszulegen sei. Diese Frage legten die Richter dem EuGH vor. Überträgt man die Auffassung der Luxemburger Richter auf den niederländischen Fall, müsste die Käuferin die Vertragswidrigkeit beweisen und dass diese innerhalb der ersten 6 Monate nach Übergabe des Fahrzeugs aufgetreten ist. Ist der Wagen folglich innerhalb dieses Zeitraums nachweislich verbrannt, wird das Gericht den Verkäufer wohl zur Zahlung verpflichten.

EuGH: Verbrauchereigenschaft des Käufers ist von Amts wegen zu prüfen

Der EuGH urteilte darüber hinaus, dass ein nationales Gericht von Amts wegen zu überprüfen hat, ob es sich bei einem Käufer um einen Verbraucher handelt und ob auf den Fall deshalb die speziellen Vorschriften des Verbrauchsgüterkaufes anzuwenden sind. Diese Pflicht besteht, sofern es entsprechende Anhaltspukte gibt oder diese Frage durch einfache Auskunftserteilung zu beantworten ist. Das gilt auch dann, wenn sich die entsprechende Prozesspartei nicht auf ihre Verbrauchereigenschaft beruft und auch, wenn diese anwaltlich vertreten ist.

Deutsche Gerichte müssen die EuGH-Entscheidung berücksichtigen

Das Urteil des EuGH ist rechtskräftig und für die nationalen Gerichte aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) verbindlich. Sollte also der BGH noch einmal mit einem derartigen Fall betraut werden, wird er seine Rechtsprechung entsprechen anpassen müssen. Aber auch alle anderen deutschen Gerichte – ab der ersten Instanz – müssen die Entscheidung der Luxemburger Richter bei der Auslegung des § 476 BGB künftig berücksichtigen.

Auswirkungen für den Online-Handel

Für Online-Händler bedeutet dies, dass sie künftig wohl öfter zur Gewährung der gesetzlichen Mängelhaftungsrechte (Reparatur, Neulieferung, Rücktritt vom Vertrag, Schadenersatz) verpflichtet werden. Denn während der Verbraucher nur darlegen muss, dass der erworbene Artikel gar nicht oder nicht einwandfrei funktioniert und das innerhalb von 6 Monaten seit Übergabe, müsste der Verkäufer nachweisen, dass der Gegenstand mangelfrei war, als er seinem Kunden übergeben wurde. Dabei kann aber meist nicht ausgeschlossen werden, dass die Ware entweder bei der Lagerung oder auf dem Transportweg beschädigt wurde.